Stillstand in der Zeit

Die Zeit, eines der wenigen gerechten Dinge auf dieser Welt, klebt, tropft, steht.
Unruhig und getrieben tigerte ich in der Stadt herum, unfähig, mich mit irgendetwas zu beschäftigen.

Tag der Republik – Ein Treffpunkt im Ungewissen

Schließlich kam der Tag: Treffpunkt Autobahnraststätte Michendorf, Berliner Ring, 7. Oktober, „Tag der Republik", 17.00 Uhr.

Endlich saß ich in der Gaststätte und trank mit stierem Blick auf die Tür eine Tasse Kaffee um die andere. Die Minuten rannten zäh wie Dalis Uhren auf den Boden. Hämmernder Pulsschlag. Wer sieht mir etwas an?


17:10 Uhr. Nichts.
17:30 Uhr. Nichts!!
17:50 Uhr. Nichts!!!


Koffeinschwangere Panik steigt in mir auf. Was war dieses Mal schiefgegangen?
Oder besser: Warum sollte ausgerechnet dieses Mal nichts schiefgegangen sein?

Begegnung mit dem Unauffälligen

Und dann schwang die Tür auf. Wieder einmal. Ganz nebenbei und ohne Aufsehen betrat er den Raum.

Ja er, endlich – das Bild, das Matthias mir gezeigt hatte.
Mittelgroß, lange Haare, kariertes Hemd, Jeans, Brille. Nichts Auffälliges. Der junge Student aus dem Ruhrpott.

Mit gelassenem Gesicht musterte er suchend den Raum, wie auf der Suche nach einem Bekannten.
Aufgeregt starre ich ihn an, brenne mit dem Blick ein Loch in die Süddeutsche unter seinem Arm und versuche, seine Blicke auf meine Prawda zu lenken, die er offenbar längst gesehen hat.
Er kannte mich ebenfalls von einem Foto.

Heißer, inniger Dank an meinen Schöpfer.

Die Nachricht von der Freiheit

7. Oktober 1973, „Tag der Republik“. Und dann war es wieder einmal soweit.
Im wahrsten Sinne des Wortes: plötzlich und unerwartet.

Einige Wochen zuvor hatte ich Matthias – Mitschüler, langjähriger Mitflüchtender und Mithäftling – in Berlin getroffen.
Als direkt aus dem Knast nach Westen Freigekaufter und Abgeschobener konnte er ohne besondere Auflagen nach Ost-Berlin einreisen.

Voll des Erzählens, mitten im Gespräch, und die Situation genießend, platzt er im Plauderton plötzlich heraus:
„In zwei Wochen wirst du rausgefahren."

Zwei Wochen Ausnahmezustand

Wie heute sehe ich uns in der Schönhauser Allee stehen.
Mit weichen Knien klammere ich mich an eine gusseiserne Laterne.

Die kommenden 14 Tage schleichen in hoher Spannung dahin.
Ständig tuckert der Puls im höheren Drehzahlbereich, kaum zu unterdrückende paranoide Gefühle lähmen.
Jeder muss mir doch ansehen, welche sinistren Pläne wieder einmal hinter meiner niedrigen Stirn rumoren.

Die Frau mit den Blicken

Insbesondere fühle ich mich von einer Hilfsschwester beobachtet,
deren Mann – nach dem Hörensagen – bei der Stasi ist,
die mich sicher nebenbei überwachte
und die vermutlich ein wesentlicher Grund für meine anhaltende Unruhe war.